Geht der Harzer Roller seinem Untergang entgegen?
-Gedanken zu seiner Situation und zu seinen Chancen -
 

von Hans Riegler, Gotha


Die als Überschrift gewählte Fragestellung wird vielleicht Unverständnis oder auch heftigen Widerspruch hervorrufen, sie ist nach meiner Auffassung jedoch durchaus ernst zu nehmen. Wenn man betrachtet, wie der Anteil der Gesangszüchter innerhalb der gesamten Familie der Kanarienzüchter in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist, wie sich die Zahl der Gesangszuchten allein von 1991 bis 2003 von 1832 auf 785 verringert hat und wenn man darüber hinaus die Altersstruktur der heute noch aktiven Gesangszüchter näher beleuchtet, dann zeichnet sich zwangsläufig schon mittelfristig und erst recht langfristig ein düsteres Bild für die Zukunft des Harzer Rollers ab.


Es ist nicht meine Absicht, nun mit diesem Beitrag dafür zu werben, dass doch auch gelbe, grüne und grüngescheckte Gesangskanarien schöne Vögel sind oder gar zur Umkehr der oben aufgezeigten Entwicklung irgendwelche Fördermaßnahmen für den Erhalt der Zucht des Harzer Rollers zu fordern. Vielmehr sollten insbesondere wir Gesangszüchter uns den Tatsachen stellen und nüchtern die Ursachen dafür erkennen, statt uns weiter Illusionen hinzugeben. Es wird manchmal ins Feld geführt, dass sich immer mehr Kanarienzüchter den Farben- oder Gestaltsvögeln  zuwenden, weil die Gesangszucht zu schwierig ist und sich nur schwer mit der Berufstätigkeit vereinbaren lässt. Diese und vielleicht auch noch ein paar andere Gründe mögen eine Rolle spielen, gehen nach meiner Auffassung aber völlig am Kern des Problems vorbei. Der letztlich entscheidende Grund für die Abkehr von den Gesangskanarien dürfte sein, dass die meisten Kanarienzüchter Farbenvögel ganz einfach schöner finden und in den unterschiedlichen attraktiven Farben ein weitaus vielseitigeres und interessanteres Betätigungsfeld für sich sehen. 

 

Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Umstand, dass sich Farbenkanarien wesentlich besser verkaufen lassen und selbst wenn der zu erzielende Preis für viele Züchter eine untergeordnete Rolle spielen mag, so ist es doch deprimierend, wenn selbst Großhändler oft bei gelben oder grünen Vögeln abwinken und diese nicht einmal zu Spottpreisen abnehmen. Es ist daher meine feste Überzeugung, dass uns der Gesang des Harzers als wertvolles kulturelles Erbe nur erhalten bleibt, wenn wir Farbe in unsere Gesangsstämme bringen, also der z. Zt. eher in Ansätzen vorhandenen Gesangsfarbenzucht schnell zu einem größeren Gewicht verhelfen.


Dass sein Verlust unwiederbringlich wäre, hängt auch mit den vorliegenden Vererbungsverhältnissen zusammen. Während es sich bei den Kanarienfarben wohl mit Ausnahme der vom Kapuzenzeisig stammenden roten Farbe um Verlustmutationen handelt, die bei einem eventuellen Verschwinden - wie am Beispiel der europäischen Finken sichtbar- mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit wieder auftreten würden, wären solche sprunghaften Veränderungen wieder hin zum Gesang des Harzer Rollers keinesfalls zu erwarten. Das liegt darin begründet, dass die Kanarienfarben meist an ein einziges Gen gebunden sind, man spricht hier von qualitativen Merkmalen, während die Ausbildung des Stimmapparates von sehr vielen Genen bestimmt wird. Es dürften hier ähnliche Verhältnisse wie bei allen Leistungsmerkmalen unserer landwirtschaftlichen Nutztiere vorliegen, wo es sich um sogenannte quantitative Merkmale handelt und wo schätzungsweise jeweils einige hundert Gene gemeinsam für die Ausprägung eines einzigen Merkmals verantwortlich sind. Schon durch diesen Umstand können wir aber auch mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Gefiederfarbe und Gesang völlig unabhängig voneinander vererbt werden und dass es erst recht keine negative Korrelation zwischen Gesangsleistung und Gefiederfarbe gibt.

 

Es ist daher ein unter Gesangszüchtern immer noch weit verbreitetes Vorurteil, dass sich der Gesang des Harzer Rollers nur schwer bzw. gar nicht mit jeder beliebigen Kanarienfarbe kombinieren lässt. Wir sollten daher endlich auf breiter Ebene damit beginnen, den Harzer farblich attraktiver zu machen, um so den weiteren Niedergang seiner Zucht aufzuhalten und ihm neue Anhänger zuzuführen. Man muss dazu nicht die gesamte Genetik als Wissenschaft begriffen haben, es genügt vielmehr etwas Wissen zu den Erbgängen der einzelnen Farben. Auch sind die Wege zum Gesangsfarbenvogel zeitlich durchaus überschaubar und berechenbar.
Der Vollständigkeit halber möchte ich zunächst auf die heute noch am ehesten auf Meisterschaften zu sehenden gelben sowie die grünen Gesangsfarbenkanarien eingehen, obwohl diese mein eigentliches Anliegen weniger berühren.

 

Kein Züchter dürfte wohl auf die absurde Idee kommen, hier Verpaarungen mit Farbenkanarien vorzunehmen, um danach den Gesang wieder mühevoll zu verbessern.

 

Es versteht sich also von selbst, dass man ausschließlich auf dem Weg der Selektion nach den Kriterien der Farbenzucht aus reinen Gesangskanarien geeignete Lipochrom- bzw. Melaninvögel auswählt, um ausstellungsfähige Gesangsfarbenkanarien zu bekommen. Die Bedeutung solcher Vögel für eine künftige Gesangsfarbenzucht möchte ich aber ausdrücklich unterstreichen und zwar nicht nur, weil auch dies sehr schöne Vögel sind, die die Farbpalette unserer Kanarien immer vervollständigen sollten. Sie sind dann besonders wertvoll, wenn sie über Generationen als reine Lipochrom- bzw. Melaninvögel gezüchtet werden, weil auf dem Weg zu neuen Gesangsfarbenkanarien aus unseren Harzern heraus zunächst immer wieder unerwünschtes Pigment bzw. Aufhellungen auftreten und gerade grüne Gesangsvögel sind ja bekanntlich relativ selten.


Im Folgenden möchte ich nun näher auf die uns gegebenen Möglichkeiten und notwendigen Schritte bei der Herauszüchtung andersfarbiger Gesangskanarien eingehen. Ausgangspunkt muss immer sein, dass ein Farbenvogel der jeweils angestrebten Farbe in Gesangsvögel eingekreuzt und auf diese Weise das für die entsprechende Farbeigenschaft verantwortliche Gen in die Gesangszucht eingebracht wird.

Oberstes Prinzip bleibt von da an, nie wieder einen Farbenvogel zu verwenden.

 

Vielmehr wird in den Folgejahren in Kenntnis des jeweiligen Erbganges bei ausschließlicher Anpaarung von Gesangsvögeln das gewünschte Gen von Generation zu Generation mitgenommen und so je nach Sichtweise eine Veredlungszucht in Richtung Gesang bzw. die Gesangseigenschaft des Farbenvogels betreffend eine Verdrängungszucht betrieben.

 

Wir nutzen dabei die Tatsache, dass auch Vogeleltern nicht alle, sondern bedingt durch den jeweils halben Chromosomensatz in den Keimzellen immer nur die Hälfte ihrer gesamten Erbanlagen an die Nachkommen weitergeben. Niemand würde wohl auch bestreiten, dass Vögel aus der Verpaarung von Gesangs- mit Farbenkanarien zu je 50% die Erbanlagen von Gesangs- und Farbenvögeln tragen. In Gesprächen mit Züchtern stelle ich aber immer wieder fest, dass nicht alle bereit sind, dieser Logik konsequent zu folgen, wenn es um die weiteren Verpaarungsschritte geht. Werden nämlich die Kreuzungstiere in den Folgejahren jeweils wieder mit Gesangskanarien verpaart, dann erhöht sich der Genanteil für Gesang mit jeder Generation um die Hälfte der Differenz bis hundert, in Zahlen ausgedrückt also wie folgt:


1. Anpaarung Gesang         = 50%              Gesang
2.         "                                 = 75%                   "
3.         "                                 = 87,5%                "
4.         "                                 = 93,75%              "
5.         "                                 = 96,88%              "
6.         "                                 = 98,44%              "

 


Wenn man diese Reihe fortsetzt, dann hat man nach zehn Anpaarungen ziemlich exakt einen Genanteil von 99,9% Gesang erreicht. Von Gesangsvögeln darf man aber durchaus schon nach fünf Generationen sprechen, denn diese Zahlen sind keineswegs graue Theorie und die Praxis sieht dann ganz anders aus.

In Dänemark hat man z.B. vor Jahrzehnten Kreuzungsversuche mit Wildschweinen und Dänischen Edelschweinen gemacht und bereits nach der 5. Anpaarung von Edelschweinen an die Kreuzungsprodukte war bei den Nachkommen im Aussehen und bei den Kriterien der Mast- und Schlachtleistungsprüfungen kein Unterschied zur Haustierrasse mehr festzustellen.

Unsere Gesangs- und Farbenvögel dürften sich dabei wohl eher weniger voneinander unterscheiden und außerdem kann und wird jeder Züchter auch im Neuzüchtungsprozess immer die gesanglich besseren Hähne für die Weiterzucht verwenden und so den Zuchtfortschritt beschleunigen. Unterschiedlich sind natürlich je nach Merkmal die Wege und Zeiträume bis zum angestrebten Ziel, auf die ich deshalb nachfolgend eingehen möchte.

1. Die Zucht von Gesangsfarben- und Gesangspositurkanarien mit dominant vererbenden Merkmalen

Obwohl die unter diese Rubrik fallenden weiß dominanten Gesangsfarbenkanarien und die Gesangspositurkanarien Deutsche Haube bereits regelmäßig auf Deutschen Meisterschaften ausgestellt werden und interessierte Züchter somit diese auch erwerben können, möchte ich kurz auf die Züchtung solcher Vögel eingehen. Bekanntlich muss wegen der vorliegenden letalen Eigenschaft beider Merkmale immer ein Elternteil normalfarbig bzw. glattköpfig sein. Wenn man nun nach einmaliger Einkreuzung eines weiß dominanten Farbenvogels bzw. eines Haubenvogels dazu ausschließlich geeignete reine Harzer verwendet, ist man nach fünf Jahren zwangsläufig bei den bereits genannten 97% Genanteil Gesang oder nach zehn Jahren bei 99,9% Gesang bei den deutsch-weißen und den Haubenvögeln.

So erfreulich es also ist, dass es solche Kanarien bereits gibt, so ist es auf Grund des vorliegenden Erbganges doch eher verwunderlich, dass diese Gesangsfarben- und Gesangspositurkanarien nicht schon immer in unseren Gesangszuchten mitgeführt wurden.

2. Die Zucht von Gesangsfarbenkanarien mit geschlechtsgebundenen Merkmalen.

Wir vergegenwärtigen uns noch einmal, dass ein Chromosomenpaar das Geschlecht bestimmt und schreiben üblicherweise als Formel für den Hahn XX und für das Weibchen XY. Wenn z.B. das Gen für braun an das Geschlechtschromosom X gebunden ist, haben Braunvögel als Beispiel im männlichen Geschlecht XBXB und die Weibchen XBY als Erbformel.

Man verpaart nun im ersten Schritt unseres Vorhabens einen braunen Farbenhahn mit möglichst grünen Gesangsweibchen und erhält aus dieser Verpaarung ausschließlich braune Weibchen mit der Formel XBY und normalfarbige, aber ausnahmslos für braun spalterbige Hähne mit der Formel XBX und dem Genanteil von 50% Gesang. ( XBXB x XY = XBX + XBX + XBY + XBY )

In den Folgejahren werden die spalterbigen Hähne dann jeweils mit reinen Gesangsweibchen verpaart und bringen so zu einem Viertel ihrer Nachkommen wieder braune Weibchen. ( XBX x XY = XBX + XX + XBY + XY )

Die Hähne aus dieser Verpaarung sollte man nicht zur Weiterzucht verwenden, weil sie nur zur Hälfte spalterbig sind und man dies am Phänotyp nicht erkennen kann.

Für das Merkmal braun zu 100% spalterbige Hähne erhält man dagegen immer wieder von den braunen Weibchen, wenn man sie wieder mit reinen Gesangskanarien verpaart. ( XX x XBY = XBX + XBX + XY + XY ) Mit diesem Verfahren erreicht man nach 5 Jahren spalterbige Hähne und braune Weibchen mit dem Genanteil von 96,88% Gesang und erhält im 6. Jahr aus der Verpaarung dieser Vögel untereinander erstmalig neben braunen Weibchen auch braune Hähne. ( XBX x XBY = XBXB + XBX = XBY + XY )

Auch hier bin ich der Meinung, dass es Braunvögel eigentlich als selbstverständlich in unseren Gesangsstämmen geben müsste, wenn man bedenkt, wie lange Braunvögel in der Kanarienzucht schon bekannt sind.

 

Einige andere geschlechtsgebundene Merkmale sind später in den Farbenzuchten hinzu gekommen, so dass wir nach dem hier geschilderten Verfahren innerhalb von 6 Jahren neben braunen auch Gesangsfarbenkanarien in ivoor, satinet, achat, isabell und melaninpastell erzüchten können.


3. Die Zucht von Gesangsfarbenvögeln in mosaik .

 

 Die Zucht solcher Vögel verläuft in der Praxis ähnlich und in den gleichen Zeiträumen wie bei der normalen geschlechtsgebundenen Vererbung. Auch hier wird nur einmal ein Mosaikhahn in Gesangsweibchen eingekreuzt. In den Folgejahren paart man an die mosaikfarbigen Weibchen jeweils wieder reine Gesangshähne und an die für mosaik spalterbigen Hähne wieder Gesangsweibchen an. Wie in meinem Artikel im VF 4/2003 näher ausgeführt, sind nach meinen Erkenntnissen bei der Vererbung des Mosaikmerkmals allerdings zwei Gene gemeinsam für die Merkmalsausprägung verantwortlich. Praktisch ergibt sich daraus der für unser Vorhaben günstige Umstand, dass auch aus Mosaikweibchen bei der Verpaarung mit reinen Harzern wieder Mosaikweibchen fallen können. Zu beachten ist aber auch, dass aus dieser Verpaarung anders als bei der normalen geschlechtsgebundenen Vererbung nicht alle Hähne spalterbig für mosaik sind. Die spalterbigen Hähne sind aber im Gegensatz zu den Braunvögeln phänotypisch zu erkennen. Um Hähne in mosaik zu bekommen, müssen auch hier am Ende des Weges mosaikfarbige Weibchen mit für mosaik spalterbigen Hähnen verpaart werden.

 

4. Die Zucht von Gesangsfarbenkanarien mit rezessiv vererbenden Merkmalen.

Am Beispiel der rezessiv weißen Kanarien hat Zfrd. Willi Böhm bereits den Weg beschrieben, der bei der Zucht von Gesangsfarbenvögeln mit rezessiven Merkmalen beschritten werden muss und dieser Weg ist natürlich auch praktikabel. Persönlich würde ich allerdings etwas anders vorgehen und entgegen seinem Vorschlag in der 2. Generation die spalterbigen Tiere untereinander verpaaren, um wieder weiße Vögel zu bekommen. In der 3.Generation sind dann wieder reine Gesangskanarien anzupaaren, um mit deren spalterbigen Nachkommen in der 4. Generation wieder weiße zu erzeugen u s w. Es ist zwar richtig, dass nur jedes 2. Jahr gesanglich einen Zuchtfortschritt bringt, das ist bei diesem Erbgang allerdings unvermeidlich und auch mit der von Zfrd. Böhm vorgeschlagenen Kontrollverpaarung nicht zu umgehen. Ich bevorzuge daher das Verfahren, bei dem ich den Genotyp meiner Vögel immer kenne, aber das kann und sollte jedem Züchter überlassen bleiben. Im Ergebnis erreicht man bei meiner Vorgehensweise die als Orientierung vorgegebenen 96,88% Genanteil Gesang mit rezessiv weißen Vögeln exakt nach zehn Jahren. Nach dem vorgeschlagenen Weg wären im gleichen Zeitraum neben den rezessiv weißen aber auch Gesangsfarbenkanarien in den Merkmalen phaeo, opal, onyx, kobalt und topas zu erreichen.

5Die Zucht von roten Gesangsfarbenkanarien.

In der praktischen Handhabung sollte man bei der Zucht solcher Vögel ähnlich vorgehen, wie bei den rezessiven Merkmalen, obwohl es sich hier um einen intermediären Erbgang handelt. D. h. man beginnt ebenfalls mit der Einkreuzung roter Farbenvögel und verpaart die F1-Tiere in der nächsten Generation untereinander, um deren rothaltigste Nachkommen in der 3. Generation wieder an reine Gesangskanarien anzupaaren. In der 4. Generation werden die Vögel mit dem deutlichsten rot erneut untereinander verpaart, die Nachzucht wird wieder an reine Gesangskanarien angesetzt usw. Nach 10 Jahren hat man auf diese Weise ebenfalls rothaltige Kanarien mit dem Genanteil von ca. 97% Gesang erreicht. Auf Grund des intermediären Erbganges wird jeder Züchter feststellen, dass von gelb nach rot alle Nuancen vorkommen. Die folgenden Erbformeln geben uns die Erklärung dafür. Wir schreiben für die Gesangsvögel GGrr und für die Farbenvögel RRgg ,wobei die großen Buchstaben die Anlage für gelb bzw. rot anzeigen, die kleinen Buchstaben verdeutlichen deren Fehlen. Aus der Verpaarung von gelben Gesangs- mit roten Farbenvögeln erhält man Tiere, die farblich dazwischen liegen und Erbanlagen für beide Merkmale tragen (RrGg).
Die als nächster Schritt vorgeschlagene Verpaarung dieser Tiere untereinander ergibt folgende Ergebnisse:
 

 

 RG

 Rg

 Gr

 gr

 RG

 RRGG

RRGg

RrGG

RrGg

 Rg

 RRGg

RRgg

RrGg

Rrgg

 Gr

 RrGG

RrGg

rrGG

rrgg

 gr

 RrGg

Rrgg

rrGg

rrgg

 

Interessant für die Weiterzucht und nächste Anpaarung mit Gesangskanarien sind immer die Vögel mit dem großen R und dem kleinen g in der Erbformel.
Bei meinen eigenen Beobachtungen konnte ich aber feststellen, dass man schneller als oben angegeben zu positiven Ergebnissen kommen kann, wenn man nicht mit zu kleinen Stückzahlen züchtet. So habe ich z.B. parallel zu der geschilderten Verpaarung der Kreuzungstiere untereinander einige sofort wieder an reine Gesangskanarien angepaart und im Ergebnis zwar sehr wenige, von ihrem Rotanteil her aber durchaus brauchbare Nachkommen erhalten. Das ist auch zu erklären. Paart man nämlich Tiere mit dem Genotyp RrGg mit Gesangsvögeln GGrr an, dann fallen zwangsläufig u.a. wieder einzelne Vögel mit RrGg, die ihrerseits auch sofort wieder mit reinen Gesangskanarien verpaart werden können. Besonders darauf hinweisen möchte ich noch einmal, dass auch auf dem Weg zu roten Gesangskanarien niemals wieder auf rote Farbenvögel zurückgegriffen werden darf. Persönlich verzichte ich in diesem Züchtungsprozess auch ganz bewusst auf den Einsatz von Rotfutter, weil nach meiner Auffassung nur so die genetisch bedingten Unterschiede im Rotanteil sicher zu erkennen sind.

Die hier gemachten Ausführungen zeigen die uns gegebenen züchterischen Möglichkeiten auf dem Weg zu Gesangsfarbenkanarien auf. Diese sind nach Erreichen des Genanteiles von 96,88 % nach fünf, sechs oder zehn Jahren je nach Erbgang gesanglich so gut wie der Gesangsstamm, mit dem die jeweilige Neuzüchtung erfolgt.

 

Es ist natürlich eine große züchterische Herausforderung, auf der dann geschaffenen Basis gesanglich und farblich wirkliche Spitzentiere zu züchten. Doch vor dieser Aufgabe stehen alle Kanarienzüchter ohnehin ständig. Weitere interessante Möglichkeiten würden sich auf dieser Grundlage für die Gesangsfarbenzucht durch die Kombination der Merkmale nach dem Beispiel der heutigen Farbenzucht ergeben, nur sollte man da nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Auch bin ich der Auffassung, dass in der Gesangsfarbenzucht bei wirklich neuen Farben Schecken zugelassen werden sollten, weil sie ebenfalls eine große Bereicherung darstellen würden. Entscheidend wird aber sein, ob künftig endlich mehr Gesangszüchter ihre ablehnende Haltung zur Farbe ändern, mit der sie in der Vergangenheit selbst die in einem reinen Gesangsstamm erstmalig aufgetretenen Opalvögel aus ihren Zuchten entfernt haben.

Ich bleibe dabei, dass der Harzer Roller untergeht, wenn seine Züchter weiter in den überholten Denk- und Verhaltensweisen des vergangenen Jahrhunderts verharren. Insofern wende ich mich mit diesem Artikel natürlich in erster Linie an die Züchter des Harzers und Liebhaber seines edlen Gesanges. Es wäre aber ganz besonders zu begrüßen, wenn sich unter den neuen Vorzeichen auch Farbenzüchter den Gesangsfarbenkanarien widmen und ihre Erfahrungen mit einbringen würden. Es kann doch heute nicht so falsch sein, was den Kanarienvogel einst in aller Welt berühmt gemacht hat und etwas längerfristig können wir durchaus den Gesang des Harzer Rollers mit jeder beliebigen Kanarienfarbe kombinieren. Das würde mit Sicherheit den Beliebtheitsgrad des Kanarienvogels insgesamt erhöhen, denn nicht jeder Vogelliebhaber, der ohne Kenntnis der gesanglichen Unterschiede ausschließlich nach dem Auge einen Farbenhahn für die Wohnung gekauft hat, dürfte von dessen Gesang so begeistert sein, dass er dies unbedingt ein zweites Mal tut. Für alle Vogelliebhaber, denen der Gesang nicht wichtig ist, hat die Natur außerdem im Verlauf der Evolution farblich so schöne Vögel geschaffen, dass wir diese mit natürlichen Verfahren nie erreichen können.


Es ist doch eine schöne Vision, dass eines Tages unsere Kanarien hoffentlich in allen ihren Farben das Lied des Edelrollers beherrschen, wie das schon Julius Henniger als Endziel für die Farbenzucht gefordert hat. Die Züchter unseres kleinen Vereins Gotha von 1872 arbeiten ernsthaft daran. Einschließlich der Farbenzüchter beteiligen sich fast alle an der Herauszüchtung neuer Gesangsfarbenkanarien und im Ergebnis gibt es neben Haubengesangskanarien bereits dominant weiße sowie Braun- und Opalvögel, letztere auch weißgrundig, mit mehr als 99,9% Genanteil Gesang. Zielstrebig gearbeitet wird an Gesangsvögeln in mosaik, während die Zucht von roten Gesangsfarbenkanarien ebenfalls schon weit fortgeschritten ist. Hier greifen unsere Züchter zum großen Teil auf rote Gesangsfarbenvögel des Zfrd. Heinz Aschenbach zurück, der bereits im Jahr 2000 Kollektionen solcher Vögel mit 336 Pkt. Gesang und 356 Pkt. für Farbe sowie einzelne Hähne mit 86 Gesangs- und 90 Farbpunkten ausgestellt hat. Seine langjährige und nach meiner Auffassung viel zu wenig beachtete züchterische Arbeit findet bei uns seine Fortsetzung und hoffentlich bald viele Mitstreiter. 

 

Hans Riegler